Das große Deutschlandnetz
Deutschlands Autobahnen sollen komplett unter Strom gesetzt werden, zumindest im übertragenden Sinne. Mit Anspielung auf die Vorreiterrolle von Tesla hatten wir die Regierungspläne bereits vor über einem Jahr im Juni 2020 als Titelthema unserer nextnews angekündigt: 1000 Supercharger für Deutschland. Und die sollen jetzt wirklich so kommen, aber nicht von Tesla, zumindest nicht ausschließlich.
Aber wo stehen wir heute und wohin soll die Reise gehen? Im August hat Deutschland die Marke von einer Million Autos mit Stecker geknackt, davon etwas mehr als die Hälfte vollelektrisch. Das Deutschlandnetz soll nun 2 Millionen zusätzliche, reine E-Autos in Deutschland ermöglichen. In Summe sind das 900 Standorte mit 8800 Ladepunkten. Zur Einordnung, wo wir heute stehen: Bei IONITY waren es zuletzt 102 Standorte mit 432 Ladepunkten. In Deutschland führt IONITY damit, wenn man mindestens 3x 150kW Leistung pro Standort als Messlatte wählt – gefolgt von EnBw, Allego, Aral Pulse, E-on und Fastned. Und wo steht Tesla? Stand August 2021 konnten wir in Deutschland 100 Standorte mit 1123 Ladestationen zählen.
Bei den Ladeparks sind IONITY und Tesla also gleichauf, Tesla bietet aber deutlich mehr Ladepunkte pro Standort und legt beim Ausbau aktuell ein deutlich höheres Tempo als IONITY vor. Man stelle sich nun vor: Das aktuelle Tesla Supercharger Netz in Deutschland mal zehn – dann haben wir das geplante Deutschlandnetz.
Standorte, Vergabe und Timeline
Es geht beim Deutschlandnetz ganz klar um schnelles Laden an schnellen Straßen, also Autobahnen und Landstraßen. Die Basis dafür ist eine umfassende Bedarfsanalyse. Leistungsfähiger Bestand wurde berücksichtigt, sprich dort wo schon Anbieter im Markt aktiv sind, erfolgt am gleichen Standort keine Ausschreibung.
Viele der Ladestandorte entstehen an bewirtschafteten Rastanlagen an Autobahnen, aber auch viele im urbanen Umfeld. Auf Basis der Analyse wurden die Ladeparks je nach Bedarf vor Ort in 4 Kategorien aufgeteilt, konkret also 4, 8, 12 oder 16 Stationen pro Standort. Deutschland wurde in mehrere Regionen aufgeteilt und innerhalb der Regionen mehrere Lose zusammengestellt und insgesamt gibt es 23 Pakete.
Jetzt könnte man denken: Der Deutsche Staat schreibt aus und IONITY als Vereinigung von überwiegend deutschen Herstellern geht hin und räumt ab. Doch das soll offenbar nicht passieren, denn jeder Bewerber darf am Ende nur drei der Pakete bekommen. Im Umkehrschluss müssen mindestens acht Anbieter bei der Vergabe zum Zug kommen. Die Vergabe erfolgt dabei in einem mehrstufigen Prozess als Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb.
Der finale Zuschlag soll dann frühestens im zweiten Quartal 2022 erfolgen – also wohl eher in ca. einem Jahr. Bis dahin ist natürlich noch kein einziger Schnelllader gebaut, dazu kommen wir später noch.
Technische Standards
Der Stecker ist klar: CCS muss es sein. Über Chademo redet in Deutschland ohnehin kaum noch jemand und schon 2020 hat sich außer Lexus kein Hersteller mehr getraut, ein Fahrzeug mit diesem Standard neu in den Markt zu bringen. Die Leistungsdaten der geplanten CCS-Säulen: 920 V und 500 A. Das wären rechnerisch 460 kW Leistung.
Die zugesicherte Leistung für den Einzelpunkt liegt allerdings bei 300 kW, bei Vollbelegung aller Ladesäulen sind es 200 kW. Die Leistung muss auch für 400V-Fahrzeuge bereitgestellt werden, eine heimliche Halbierung der Ladeleistung bei 400V- statt 800V-Modellen wäre damit also nicht möglich. Zum Vergleich: Aktuell drosselt Tesla bei Vollbelegung an manchen Standorten auf deutlich unter 100kW, IONITY hingegen verzichtet derzeit komplett auf eine Leistungsbegrenzung.
Zusätzliche Pufferspeicher, zum Beispiel in Form von Batterien, sind zulässig, um die Netzanschlusskosten niedrig zu halten. Außerdem gilt: Eichrecht und Ladesäulenverordnungen gilt es einzuhalten, der Standard Plug & Charge muss vorbereitet sein. Außerdem wichtig: Die Anbieter sollen über spezielle Klauseln dazu verpflichtet werden, für eine absolute Zuverlässigkeit zu sorgen. Ausfälle unter den Ladesäulen sollen damit möglichst vermieden werden, ansonsten drohen Vertragsstrafen.
Generell steht das Ladeerlebnis im Vordergrund. Der Ladevorgang soll nicht nur unkompliziert und stressfrei ablaufen, sondern auch zusätzliche Annehmlichkeiten bieten. Dazu gehören eine Überdachung der Ladeplätze sowie eine Beleuchtung bei Nacht, sanitäre Anlagen und ein gastronomisches Angebot. Solaranlagen auf oder am Ladepark sind ebenfalls gerne gesehen, jedoch keine Pflicht. Was aber Pflicht ist: Der Strom muss vollständig aus erneuerbaren Energien kommen.
Zur Freischaltung gibt es folgende Möglichkeiten – nicht entweder oder, sondern alle: Klassisch per RFID-Karte oder Chip, mit der App des jeweiligen Fahrstromanbieters, Plug & Charge nach ISO15118 – sobald verfügbar – und natürlich Ad-hoc, also vertragsloses Spontan-Laden. Dafür verbindlich ist die Zahlungsmöglichkeit mit gängigen Giro- und Kreditkarten oder mittels Kartenterminal mit NFC-Technologie und Pinpad. Diese Zahlungsmethoden haben trotz großem Widerstand aus der Branche auch Einzug in das aktuelle Schnellladegesetz gefunden.
Das ist aber nicht alles, denn es gibt noch eine zusätzliche Ausschreibung, sozusagen um die Lücken zu schließen. Dabei geht es um unbewirtschaftete PWC-Anlagen, d.h. Autobahnparkplätze ohne Raststätte, für die vermutlich bei der Ausstattung geringere Standards gelten. Dort soll es 200 weitere Standorte geben. Ziel ist es, dass so an der Autobahn wirklich alle 10 Minuten ein Schnellladestandort erreicht werden kann.
Preisgestaltung
Anhand der letzten Absätze lässt sich schon ablesen: Der Staat macht ernst und will die eigenen Interessen mit denen der Betreiber und Kunden ausgewogen zusammenführen. Das gilt auch beim Preis und das Ergebnis sind 44 cent pro kWh. Das ist die preisliche Obergrenze für jede Kilowattstunde, welche über eine Ladesäule des Deutschlandnetzes bezogen wird. Erlaubt ist eine Abweichung von 6 Cent nach unten, nicht aber nach oben. Das gilt aber nur für die Betreiber selbst, denn unabhängige Fahrstromanbieter wie Plugsurfing und Maingau können den Strom ebenfalls für den eben genannten Preis einkaufen und dann teurer an den Endkunden verkaufen.
Wer als Kunde immer den niedrigsten Preis zahlen möchte, der bezieht den Strom direkt vom Ladesäulenbetreiber oder bezahlt notfalls einfach vor Ort mit der Karte. So ist man auf der sicheren Seite und zahlt nie mehr als den tatsächlichen Strompreis der Ladesäule. Übrigens: Die 44 Cent je kWh sollen so festgelegt worden sein, dass ein typisches Elektroauto auf der Langstrecke günstiger fährt als ein vergleichbares Diesel-Fahrzeug, dessen Spritpreis bei der Kalkulation mit 1,35 Euro je Liter berücksichtigt wurde.
Für den gesamten Ausbau hat der Bund 2 Milliarden Euro eingeplant. Das sind grob 200.000€ pro Stecker mit einer geplanten Betriebsdauer von 8 Jahren. Anders als bisher gibt es aber keinen Investitionszuschuss, sondern der Staat kauft für 8 Jahre die komplette Leistung bei den Betreibern an und diktiert dafür den Endkundenpreis. Der Wettbewerb innerhalb des Deutschlandnetztes findet also weniger am Kunden statt, als viel mehr im Bieterwettstreit zur Teilnahme am Programm. Ob dann an so einem Ladepunkt überhaupt jemand lädt und welcher Umsatz erzielt wird, ist damit zunächst zweitrangig.
Über die räumlich gemischten Lose von guten und schlechten Standorten führt das natürlich dazu, dass auch an weniger attraktiven Standorten Ladesäulen gebaut werden. Der Umsatz, der dann später tatsächlich stattfindet, muss aber von den Betreibern teilweise an den Staat durchgereicht werden – und zwar mehr als die Hälfte. Wenn viele E-Autos kommen, könnte also auch viel Geld zurückfließen. Außerdem ist eine Folgenutzung der Standorte angestrebt, das heißt der Restwert der Standorte nach 8 Jahren soll in die Kalkulation einfließen.
Aktuelle Preise
Was kostet denn schnelles Laden aktuell? Dafür schauen wir uns die aktuellen Tarife der großen Anbieter an, wobei die Preise pro Kilowattstunde zuletzt nur eine Richtung kannten, nämlich nach oben. Derzeit verlangen die Anbieter folgende Preise:
- – Tesla: 40 Cent (nur für Tesla-Fahrzeuge)
- – EnBw: 0,46€/kWh + 6 Cent/min
- – Shell, Allego, Fastned: 59 Cent
- – Aral: 69 Cent
- – IONITY: 79 Cent
Anzumerken ist, dass der hohe Preis bei Ionity auch als Abwehrangebot für Fremdmarken interpretiert werden kann. Über die beteiligten Autohersteller haben die Kunden Zugriff auf Abo-Angebote im Bereich 30 Cent/kWh gegen eine monatliche Grundgebühr, was für Vielfahrer am Ende doch ein ziemlich gutes Angebot sein kann. Tesla’s Ladenetz ist derzeit noch für eigene Fahrzeuge reserviert, könnte aber bald auch von Fremdmarken genutzt werden. Welche Preise Tesla dann aufruft, ist aber noch unbekannt.
Die Knackpunkte
Bei den Fahrstromanbietern ohne Vertrag und Grundgebühr werden aktuell rund 55 Cent je kWh fällig, also deutlich mehr als die geplanten 44 Cent beim Deutschlandnetz. Und das könnte für uns alle zum Problem werden, denn für die Betreiber stellt sich womöglich die Frage, ob es sich überhaupt noch lohnt, jetzt neue Ladesäulen zu errichten oder lieber ein Jahr zu warten, bis das Förderprogramm für das Deutschlandnetz beginnt. Dieses Dilemma könnte dazu führen, dass der dringend benötigte Ausbau der Infrastruktur kurzfristig sogar behindert wird.
Der Staat hält aber dagegen, denn es läuft bereits ein Förderprogramm und davon ist inzwischen nächste Runde gestartet, bei der 500 Millionen Euro für maximal 60% der Investitionskosten winken. Wir haben auch von Anbietern direkt mitbekommen, dass sie jetzt weiter bauen werden und die Zeit sinnvoll nutzen wollen. Und im privaten Bereich gibt bereits die Wallbox-Förderung von 900€ pro Ladepunkt. Seit November 2020 wurden dort 736.000 Ladepunkte genehmigt. Das ist deutlich mehr als es reine E-Autos in Deutschland gibt.
Nächster Knackpunkt: Flächenmangel. Wir haben gehört, dass die Pachtpreise für Standorte jetzt schon nach oben gehen und auch Grundstückbesitzer lieber abwarten. Der Hintergedanke: Wenn´s der Staat unbedingt machen will, dann gibt´s vielleicht mehr Kohle als jetzt – bezahlt von den Steuerzahlern. Brisant daran: Die Standort-Akquise soll erst nach Zuschlag erfolgen – das ist natürlich ein großer Risikofaktor in der Kalkulation. Ein paar Beispiele gefällig? Da wäre der Suchraum 32296, Region 3, Los 2 – vorgesehen für 12 Ladepunkte. Im Stadtgebiet von Leipzig sind 44 Ladepunkte geplant. In München sind es 72 aus 3 verschiedenen Losen. Das zeigt übrigens nochmal, dass auch der urbane Raum mit verdichtet wird – zum Beispiel für Nutzer ohne private Lademöglichkeit.
Ein weiteres Problem: Der Staat wird zum Unternehmer und setzt den aktuellen Marktteilnehmern noch dazu ein Preismonopol vor die Nase. Auch wenn IONITY, Aral und Shell in ihren ersten Statements was anderes sagen, wird es der eine oder andere, der gerade fett investiert, nicht lustig finden, dass er demnächst in seinem Bestand mit dem deutschen Staat konkurriert. Und es reicht eine Klage und das ganze könnte ins Stocken geraten und erst deutsche und dann europäische Gerichten beschäftigen. Der Mietdeckel wurde immerhin schon als verfassungswidrig abgeurteilt, dasselbe könnte mit dem Strompreisdeckel passieren.
Und dann wäre da noch Knappheit der Hardware. Schon jetzt kann nicht jeder Betreiber immer gerne die Ladestation bauen, die er dem Kunden gerne anbieten möchte. So könnten Anbieter, die qualitativ bisher nicht überzeugen konnten, einen zweiten Frühling erleben. Anders gesagt: Sie haben die Chance es jetzt besser zu machen. Der Chipmangel geht ebenfalls umher und sogar Autos können nicht mehr gebaut werden. Die Frage ist, wann die Lage sich verbessert. All diese Faktoren bergen aus unserer Sicht große Risiken, die dazu führen könnten, dass wir sogar mehrere Sommer lang noch mehr Staus an Ladesäulen erleben könnten als in diesem Sommer.
Das sagen die Betreiber dazu
Wir haben bei allen Big Playern angefragt und folgende Rückmeldungen bekommen:
Allego hat als erstes geantwortet, der Chef persönlich. Ulf Schulte schrieb mir:
“In der Tat beabsichtigen wir uns an der Ausschreibung zu beteiligen. Wir bewerten gerade die neuen Informationen und entscheiden dann auf welche Lose wir uns bewerben werden.”
EWE Go schrieb uns:
“Zur Zeit befindet sich eine Teilnahme an der Ausschreibung noch in Prüfung.”
Fastned meinte:
“Wir sind definitiv daran interessiert, an der Ausschreibung teilzunehmen, aber zunächst versuchen wir, mehr Informationen über alle Details der Ausschreibung zu bekommen.” Die finalen Eckdaten kommen ja auch erst im September.
Aral Pulse sagte:
“Wir haben die gestrige Veröffentlichung des Konzepts zum Deutschlandnetz mit großem Interesse verfolgt. Wir begrüßen, dass die Bundesregierung mit diesem Programm dem beschleunigten Ausbau von Schnell- und Ultraschnelllade-Infrastruktur oberste Priorität einräumt. Die Ausschreibung selbst wird in Kürze veröffentlicht. Wir werden dann prüfen, ob eine Bewerbung für uns in Frage kommt.”
Shell Recharge ließ verlauten:
“…das schauen wir uns aktuell an, haben aber noch keine Entscheidung getroffen.” und weiter “Bis Ende des Jahres sollen an 110 Standorten ca. 240 Schnellladepunkte unter der Marke Shell Recharge betrieben werden.”
IONITY hat geantwortet:
“IONITY prüft die veröffentlichten Rahmenbedingungen zum neuen Schnellladenetzwerk in Deutschland sehr genau. Bis zu einer abschließenden Bewertung können wir hier noch keine Aussage treffen.”
EnBW mit aktuell 600 Standorten hat sich als einziges Unternehmen vergleichsweise positiv geäußert:
“ Wir begrüßen daher ausdrücklich, dass die Bundesregierung auch in den nächsten Jahren eine anteilige Invest-Förderung für den Aufbau von Schnellladeinfrastruktur bereitstellt. … Auf Basis der Unterlagen werden wir prüfen, ob und in welcher Form wir an der Ausschreibung teilnehmen werden. Prinzipiell ist es natürlich wichtig, dass durch die neuen Standorte keine Wettbewerbsverzerrung gegenüber bereits bestehenden oder auch in Umsetzung befindlichen Standorten und dem Markt für Ladeinfrastruktur entsteht.”
Letzteres ist natürlich auch Teil des Konzepts, aber wenn der Bedarf größer ist, als der aktuelle Stand – dann soll im Deutschlandnetz ergänzend aufgefüllt werden. Achtung: Datenlage ist Stand Juni 2021 an als in Betrieb gemeldeten Stationen. Der Wunsch von EnBw zum Gebietsschutz des aktuellen Ausbaus ist aus unserer Sicht damit nicht gegeben. Die Sorge der Anbieter vor einer Wettbewerbsverzerrung ist völlig nachvolllziehbar und wird vermutlich auch in nächster Zeit noch ein brisantes Thema bleiben.
Fazit
Wird das Deutschlandnetz Scheuers großer Wurf? Als Experten für Elektromobilität haben wir den Plänen genauestens auf den Zahn gefühlt und haben den Eindruck, dass hier tatsächlich Profis am Werk waren, welche die Anforderungen des Elektrofahrers speziell im Langstreckenbetrieb korrekt erfasst haben. Es wird erstaunlich wenig um den heißen Brei herum geredet, sondern klar gezeigt, welche Ziele erreicht werden sollen und wie dies zu bewerkstelligen ist.
Das neue Deutschlandnetz hat ein großes Potenzial, die Elektromobilität in Deutschland in kurzer Zeit deutlich voranzubringen. Doch ob sich dieser Plan auch reibungslos in die Tat umsetzen lässt und ob die E-Autofahrer am Ende als große Gewinner hervorgehen, wird sich noch zeigen müssen.